Donnerstag, 17. Januar 2013
Just another manic wednesday (Tag 4) – 07.11.12
Aller Müdigkeit zum Trotz, die Nacht war mehr als kurios. Merkwürdige Geräusche im Haus. Ich schrecke immer wieder hoch. Und irgendwann dann das allerkomischste. Draußen huschen zwei Lichtkegel von Taschenlampen rum. Es ist kurz vor 2. Erst kapiere ich gar nichts, frage mich was das für eine seltsame Illumination ist. Dann traue ich mich aus meinem Fenster im 1. Stock zu sehen. Dort unten stehen zwei Männer, die Leuchten den Schuppen hinter dem Haus ab. Rütteln an der verschlossenen Schuppentür, leuchten weiter. Irgendwann leuchtet einer auf mein Fenster. Erschrocken ziehe ich den Vorhang wieder zu und lege mich ins Bett, mit klopfendem Herzen.

Noch wilder machte mein Herz, dass in diesem Krimi von Charlotte Link, den ich gerade lese, eine alte Frau die in der absoluten Einöde lebte, über Wochen mental mürbe gemacht wird, dass nachts immer ein Auto zu ihrem abgelegenen Haus fährt. Sie hört immer, wie es sich nähert, wenn sie im Bett liegt, und sieht die zwei Lichtkegel des Autos über ihre Wand huschen. Dann geht das Licht aus und der Motor auch, und die Frau denkt sich, irgendwo da draußen in der Dunkelheit sitzt jemand in seinem Auto. Was will dieser Mensch?

Ich sags euch. Nochmal: weniger Krimis für mich. Ich habe mich dann irgendwie selbst beruhigt. „Die hätten bestimmt Masken aufgehabt wenn das Einbrecher gewesen wären.“ „Komm spinn dich aus, du bist nur aufgewühlt von diesem Krimi.“ „Deine Phantasie geht mit dir durch.“ „Alte schlaf endlich weiter, du hast nen Knall.“
Ich habe so schlecht geschlafen, dass ich morgens wie gerädert war und nur zum Frühstücken unten war (und dort überlegte, ob ich das nächtliche Geschehen anspreche, habs mir dann aber verkniffen).

Als ich zwischendrin kurz auf mein Zimmer wollte um etwas zu holen, ertappte ich die alternde Hotelbesitzerin vor dem Spiegel, mit hochgezogenem Pulli. Ich weiß nicht, begutachtete sie da ihren Bauch??? Ich mein, der Spiegel hängt im Flur, der aus dem Frühstücksraum führt. Sehr merkwürdig, das alles. Habe seit der Nacht das Gefühl, irgendwie durch einen Sprung in eine leicht verschrobene Zeit gehüpft zu sein.

Den Rest des Tages habe ich auf meinem Zimmer verbracht, mit Lesen, Zappen und immer wieder schlafen. Irgendwie schade, denke ich mir zwischendrin immer wieder, aber andererseits vielleicht einfach notwendig. Abends wieder Sushi geholt. Bloch gekuckt. Joa.

Irgendwie ist mir der Tag aufs Gemüt geschlagen. Fühle mich abgekapselt, alleine. Und das liegt glaube ich nicht nur daran, dass ich alleine im Zimmer sitze. Es gleicht dem, was unterschwellig auch in mir lauert, wenn ich alleine in einem Cafe oder Restaurant sitze. Ich vermute, das ist auch der Grund warum ich nicht einfach in die Sturmhaube oder in die Sansibar gehe. Für mich ist eine Mauer zwischen mir und den anderen. Oft. Mit Alk kann ich sie einreißen. Oder jedenfalls vermeintlich. Ohne brauche ich die anderen – dass sie auf mich zugehen, oder mir zumindest signalisieren, dass ich ok bin. Dass sie mir die Hand reichen. Ich hasse so sehr dass das so ist.

So sehr ich Momente des Alleinseins auch genieße – so sehr bin ich sie manchmal inzwischen auch leid. Ich will endlich diese Mauer weg haben. Will endlich mal teilen mit jemandem. Erlebnisse, Momente, Stunden, Tage, mich. Morgen dann zum Glück ein neuer Tag, ne.

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Montag, 10. Dezember 2012
Nordisch by nature (Tag 3) – 06.11.12
Heute.. heute.. was ist heute der Plan, grübel ich über Marmeladenbrötchen im Frühstücksraum, im Radio läuft "Nordisch by nature". Ich will dem alten Lorenz auflauern auf seiner Attacke-Strecke. Also fahre ich Richtung Braderuper Heide auf der Wattseite, parke, und wander dann erst an der Ebbe-Küste bis nach Keitum, dann zurück, dann durch die Heide selbst… Stunde um Stunde. Zwischenzeitlich zieht es zu, es regnet ab und an, hartnäckig wander ich weiter, immer darauf bedacht die Reitstrecken im Auge zu haben. Aber vom alten Lorenz keine Spur. Hat er keine Gäste? Hat er keine Lust? Gibt es ihn denn wirklich noch? Ich muss die Tage nochmal nach Keitum. Es lässt mir irgendwie keine Ruhe. Ich hätte es so gern gesehen, wie seine Truppe auf gestreckten Pferderücken in voller Attacke durchs Watt tobt vor dunkler Wolkenkulisse.

Inzwischen ist es schon 14 Uhr. Der Himmel ist dicht mit Wolken und es regnet. Ideal für einmal Durchpusten lassen am Weststrand (ganz oben). Leider hat die Strandhalle zu, das ist wirklich fatal, denn 1. sterbe ich wenn ich nichts esse, und 2. brauche ich unbedingt ein Klo. Also beschließe ich ganz schnell, einfach wieder in die Alte Backstube zu fahren. Das bin ich meiner Blase schuldig. Trotzdem werfe ich noch einen kurzen Blick runter auf die Küste. Der Ausblick von da oben ist atemberaubend, trotz des Wetters. Aber meine Blase gewinnt.

In „meinem“ Wohnzimmer schnell wieder aufs Sofa, Tee trinken, Salat schnabbulieren, lesen. Aahhh… draußen klopft der Regen an die Scheibe. Ich schwebe in Gemütlichkeit.
Zurück in Westerland schreien meine Beine trotz stundenlanger Betätigung am Vormittag nach einem weiteren kleinen Auslauf. Also auf zur Kurpromenade und dort vor an die Brandung.

Der Wind bläst ordentlich, manchmal schwanke ich richtig, der Regen malträtiert meine Haut wie tausend kleine Nadeln. In den Wellen erspähe ich etwas, das aussieht wie ein Mensch mit schwarzem Ganzkörperneoprenanzug. Ich sehe dieses etwas vom Kopf bis zu den unteren Brustrippen. Es sieht aus als hätte dieses Wesen seine Arme auf die Hüften gestützt, sie stehen so abgespreizt vom Körper. Oder ist das echt ein Mensch der ein Board hält??? Das ist ne Boje, denk ich mir. Eine witzige Boje, damit die Leute irritiert sind, kucken und dann lachen. Hahaha. Ja. Nein. Es ist ein Lebender. Der (oder die) springt doch tatsächlich aufs Board und versucht eine Welle zu reiten. Entweder der ist wirklich nordisch by nature und im Meer großgeworden, oder völlig bekloppt. Da der Mensch aber die ganze Zeit seinen Platz mehr oder weniger hält, in guter Distanz zu den Buhnen, und auch immer wieder munter auf sein Board hüpft, gehe ich von einem Nordtier in Neoprenanzug aus.

Als ich so da stehe, in die schäumende See starre und versuche das Neoprenköpfchen zwischen den hohen Wellen ausfindig zu machen, kommen ähnliche Gefühle in mir auf wie gestern Abend. Das Meer greift. Das Meer giert. Das Meer will. Ich habe mehr Respekt als früher. Glaube ich. Hatte ich früher Furcht? Ich glaube nicht. Es ist ein gruseliges Gefühl.
Inzwischen bin ich klitschnass – jedenfalls alles zwischen Anorak- und Stiefelsaum (Anorak und Stiefel halten bombig warm und trocken!). Meine Oberschenkel sind eiskalt.

Nach einer Stunde reicht es, ich freue mich auf eine heiße Dusche, und penne dann über meinem Buch ein. Stehe nochmal für Futter auf, quäle mich zur Pizzeria, quäle mich zurück, schaue mir einen Sat1-Film an, gratuliere V. telefonisch zum Geburtstag und tippe das hier. Und jetzt muss ich schlafen. Mein Gott bin ich müde.








Donnerstag, 29. November 2012
Der dicke fette Pfannkuchen (Tag 2) – 05.11.12
Es muss ein Rucksack her. Das erweist sich als unproblematisch. Ganz anders das Thema Gummistiefel - die Insel scheint ausverkauft. Eine mitfühlende Verkäuferin verweist mich an einen Laden mit Reitzubehör. Das ist mir dann aber echt zu arg: 300 Euro für Reitstiefel zum Spazierentragen.. So werde ich also weiterhin meine Winterstiefel aus Wildleder strapazieren. Immerhin sind sie unschlagbar warm und haben eine mehrere zentimeterdicke Sohle. Wird schon schief gehen.

Das Wetter hält seit meiner Ankunft erstaunlich gut. Bisher hat es nur spät abends oder nachts geregnet. Auch jetzt sammeln sich zwar dunkle Wolken im Westen, aber ich fahre Richtung List und somit gen Sonne. Ich parke kurz hinter der Mautstelle und mache mich an der ganz nördlichen Küste auf den Weg um den Ellebogen abzulaufen. Es ist traumhaft. Die Sonne scheint, die Wellen schaukeln an den Strand, es sind nicht viele Menschen unterwegs.

Heute könnte ich nicht mehr sagen, was ich dort gedacht habe. Vielleicht denke ich auch nichts. Wahrscheinlich denke ich aber einfach auch sehr unbewusst, bzw. lasse ich die Gedankenäffchen klettern.

Vorne an der Spitze des Ellebogens zeigen die Wellen die starken Strömungen auf. Ein einsamer Angler sitzt an genau dieser Stelle am Strand, hinter ihm stehen einige Menschen.. und ich. Wie hypnotisiert starren wir auf das aufgewühlte Meer. Es fasziniert und fesselt mich unglaublich, wie offensichtlich mächtig die Strömungen hier sind.

Auf dem „Rückweg“ und somit dem südlichen Part des Ellebogens bestaune ich Muscheln, schaue Möwen beim Tanzen zu, beobachte andere Spaziergänger, halte meine Nase in die Sonne und freue mich über das Glitzern auf den kleinen Wellen. Ab einem gewissen Punkt ist man dann gezwungen vom Strand auf die Straße zu wechseln. Das ist der Moment, in dem mir meine Beine bewusst werden. Es läuft sich auch einfach nicht so angenehm auf Asphalt, auch wenn man weitgehend noch auf Trampelpfade an der Seite der Straße ausweichen kann. So traumhaft diese Exkursion war – ich bin doch froh, als ich wieder im Auto sitze.

Die Dame im Mauthäuschen frage ich, ob sie mir ein nettes Café mit leckerem Kuchen empfehlen kann. Das kann sie – die „Alte Backstube“. Der Knüller. Das Dressing für den Feldsalat muss von Zauberhänden zubereitet worden sein, und an dem riesen Pfannkuchen, gefüllt mit roter Grütze und Vanilleeis, war mit Sicherheit Engel beteiligt. Der Pfannkuchen ist dermaßen groß und dick und toll, dass ich an das Buch denken muss, dass meine Mama mir als Kind immer vorgelesen hat. Das Buch vom dicken fetten Pfannkuchen.

Ich bin dermaßen pappsatt und glücklich, dass ich auf die Frage, ob alles in Ordnung war, nur aus tiefstem, vollem Bauch tönen kann „es war die Wucht“. Das Café selbst erwärmt ebenfalls mein Herz. Die Einrichtung ist wunderbar, ganz gemischt, mit vielen altertümlichen Sofas, unterschiedlichen Stühlen und Kronleuchtern, und schönen dunklen Holztischen. Musikalisch werden wir von Melodien verwöhnt, die mich an die Goldenen 20er erinnern.

Ich versinke auf „meinem“ Sofa, trinke Tee und lese. Draußen ist es inzwischen dunkel und eigentlich möchte ich mein neues Wohnzimmer gar nicht mehr verlassen. Tue es dann aber trotzdem. In Wenningstedt zwingt mich ein inneres Gefühl dazu, einen Abstecher zum Strand zu machen und in der Dunkelheit noch ein paar Schritte zu gehen. Ich parke auf dem Parkplatz vor dem neu erstellten Goschtempel (das ist mir irgendwie auch zu krass. Dem gehört doch bald die ganze Insel..).

Es ist so dunkel, dass ich den Holzsteg hinunter zum Strand nur schwer finde, und als ich ihn endlich unter meinen Füßen habe und ich in die Dunkelheit stapfe, wird mir mulmig. Ich sollte nicht so viele Krimis lesen. Über mir hängt ein wundervoller Sternenhimmel, der Himmel ist klar, nur den Mond finde ich nicht. Oder ist Neumond? Ich folge dem Steg durch die Dünen, immer Richtung Meeresrauschen.

Es ist ein sehr eigenartiges Gefühl an einem breiten Strand in der Dunkelheit zu stehen, vor einem das offene Meer. Es kommen auch eigenartige Gedanken in mir auf, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob es Angst, Lust, Zweifel oder einfach die Freude an schaurigen Gefühlen ist. Wie es zum Beispiel sein mag plötzlich reingezogen zu werden in die dunkle See. Und ich frage mich, ob die See eine Seele hat. Sie kommt mir wild und hungrig vor, als würde sie in Form ihrer Wellen die Arme nach mir ausstrecken, mich locken, rufen, eine Mischung aus „Nimm dich in acht… komm her… nimm dich in acht… wir sind da… komm her…“..

Da schüttelt es mich und ich gehe lieber schnell zurück zum Auto und düse nach Westerland in mein Wohnklo. Es bleibt ein kleiner Appetit, und ich suche die Shi*robar auf für ein sehr leckeres Take-Away Sushi.

Weniger Krimis lesen. Was der Watzmann-Story Berg und Bua sind, sind meiner Story Nordsee und ich. Gruselig. Immerhin denk ich mir nicht „Vatter, i muss naus, naus auf die See!“








Sonntag, 18. November 2012
Moin (Tag 1) – 04.11.12
Seit ich nicht mehr rauche, haben sich meine Schwierigkeiten morgens aus dem Bett zu kommen in etwa halbiert. Mindestens. Und so kommt es, dass ich in meinen ersten Tag auf der Insel beschwingt und gar nicht so spät starte. Nach einem kleinen Frühstück treibt es mich zu Strand – ich wähle eine Strecke ab dem südlichen Rantum.
Von einem Parkplatz aus laufe ich über die Dünen Richtung Strand. Es ist das erste mal seit sechs Jahren, dass ich diesen so absolut typischen Geruch von Dünen und Heide wieder in meiner Nase habe. Mein Gott. Was habe ich ihn vermisst! Ich hatte ja keine Ahnung! Für mich ist er so vertraut, sandig, grasig, meerig, syltig, herrlich, birgt plötzliche Gefühle von Geborgenheit, Sehnsucht, Erdung, Mutter.

Überhaupt. Mutter. Sie ist so omnipräsent, in jedem Schritt, den ich hier her getan habe und den ich hier tue. Etwas Untrennbares und Tiefes, das uns verbindet, ist die Liebe zu dieser Insel. Meine Mutter mag mich unberechtigter- und unfairerweise in vielen Dingen ihr gleich gemacht haben (was mir das Leben an der ein oder anderen Stelle unglaublich und unnötig erschwert, so lange ich mich davon nicht löse), aber in diesem einen Punkt liebe ich sie für diese Schwäche, nämlich für diese Liebe für und Sehnsucht nach Sylt.

Ich nehme die letzten Treppen auf der Holzstiege über die Dünen, und dann liegt es da. Nein es liegt nicht, es rollt, es zehrt, es will. Das Meer. Die See. Die geliebte Nordsee. Silbern schimmern die Schaumkronen in der Sonne, es ist noch leichte Ebbe, der Strand ist relativ breit, nur wenige Menschen genießen den Gang an der Gischt. Über viele Meter hinweg rollen Wellen an die Küste, umspülen sie, umarmen sie, greifen und stehlen sie. Und das Dünengras beugt sich dem Wind. Die Szenerie liegt vor mir wie ein Gemälde, und ich lebe mitten drin.

Es fühlt sich alles vollkommen surreal an. Dass ich wirklich wieder hier bin. Dass ich den Sand unter meinen Schuhen spüre, dass ich das Salz auf meinen Lippen schmecke, dass feiner Sprühnebel von den brausenden Wellen auf meinem Gesicht liegt. Wie konnte ich so lange ohne sein? Ich liebe das alles so sehr, dass ich mich frage, ob denn tatsächlich schon Vokabeln dafür erfunden wurden.

Aber ob oder ob nicht. Egal. Es ist fantastisch, und mit einem fetten Grinsen auf dem Gesicht und aufsteigenden Juchizern in meiner Brust stapfe ich Richtung Süden. Strandgut, Muscheln, Steine, Scherben, und Sand Sand Sand. Das Meer riecht SO GUT. Vereinzelt begegnen mir Paare, nur wenige einzelne Spaziergänger scheinen unterwegs. Die Sonne blendet mich, aber erst spät ringe ich mich zu einer Sonnenbrille durch – ich will alles sehen wie es wirklich ist. Ich will es in mich aufsaugen! Mit Augen, Nase, Lunge, Ohren, allen Sinnen. Es ist als hätte eine lang vergessene Sucht schlagartig wieder von mir Besitz ergriffen. Phänomenal.

Kurz vor Sansibar kehre ich um. Irgendwie traue ich mich nicht dahin. Es ist wie mit Kampen. Meine Mutter hatte nie Hemmungen egal wo auf der Insel zu verkehren (und damit meine ich vermutlich nicht nur gastronomische Einrichtungen). Sie war einfach da. „Hallo, hier bin ich, mir gehört die Welt, und jetzt tanzt mit mir!“ Und sie hatte Spaß. Das wusste ich schon mit 6 (auch wenn es mir damals nicht gefiel). Als ich Anfang 20 war, schleppte sie mich überall mit hin. Nach Westerland in diverse Schuppen, nach Kampen in die Sturmhaube und in die Kupferkanne, und damals war es auch, dass ich bei einem Sommerurlaub mit ihr ein paar junge, reiche und fesche Typen kennenlernte, die mich ins Pony einluden und mit denen ich danach bis in die Morgenstunden in einem Stripclub in Westerland abstürzte. Es war der Knaller. Damals war ich mit Muttern auch in der Sansibar, und eine attraktive ältere Dame vernarrte sich in mich und meinte, wenn ich nicht berühmt sei, wer dann. Ich lachte damals nur, aber sie beharrte darauf. „Sie sind so attraktiv! Sie MÜSSEN berühmt sein!“. Nein. Anyway.

Ich kehre heute jedenfalls um, und auf dem Rückweg begegnen mir drei attraktive Kerle, die mit Sicherheit keine Hemmungen haben in der Sansibar einzukehren und mich frech und auffordernd anlächeln. Ach, denke ich mir. Thisbe. Du dumme Kuh. Bitte ringe endlich deine Zweifel nieder. Ringe sie nieder, und nimm dir einfach was du willst. Nimm dir Sansibar. Nimm dir Kampen. Nimm dir alles. Und wenn einer ein Problem damit hat, soll er dran ersticken. Ich hasse meine Unsicherheit und mein angeschlagenes Selbstbewusstsein. Hätte ich die drei angesprochen, ich könnte meinen Arsch drauf verwetten dass wir ein paar heitere Stunden gehabt hätten. Egal ob in der Sansibar oder sonst wo.

Den Nachmittag bringe ich am Morsum Kliff und (nur kurz) in Keitum zu. Der Himmel hat inzwischen zugezogen und am Morsum Kliff herrscht eine verwunschene Stimmung. Als könnte gleich ein Mord passieren. Kennen Sie sowas?

Völlig schockiert hat mich, dass scheinbar Nielsens Kaffeegarten in Keitum dicht gemacht hat. Erst die abendliche Recherche kann mich darüber aufklären, dass Umbaumaßnahmen stattfinden und wir ab 2013 mit seiner Rückkehr rechnen können. Phu. Also das wär ja was gewesen. Mamas altes Café dicht. Mit dem tollen Blick übers Wattenmeer. Ne.

Immerhin ist der alte Lorenz in der Dorfmitte noch da. Glaube ich. Jedenfalls ist da noch ein Reitstall. Wenn Sie Reiter sind – gehen Sie dahin! Es sind die wunderbarsten Ausritte der ganzen Welt. 2 Stunden lang am Morgen Richtung Norden, durch wunderschöne verhexte Dünen- und Heidelandschaft, und mit gnadenloser Attacke am Strand. Aaaaahhh… vergessen Sie Sex. Leider bin ich seit Jahren viel zu ungeübt um diesmal in diesen Genuss zu kommen. Das bestärkt mich aber nur in meinem jüngst aufkeimenden Wunsch, wieder Reitstunden zu nehmen. Ich glaube, über den alten Lorenz habe ich in diesem Blog schon etwas geschrieben. Ich muss es verlinken wenn ich wieder online bin.

Tja. Und dann war es Abend, und ich überlege, wohin bloß mit mir, an welchen Abendtrog. Ich entscheide mich für das Ste*ak- und Ha*xenhä*uschen in der Keit*umer Ch*aussee. Dass ich dort inkl. Trinkgeld über 50 Euro lassen würde, war mir vorher zwar nicht klar, aber im Nachgang jeden Cent wert. Die Bedienung ist groß, blond, mit Pony und sehr sympathisch. Freundlich fände ich hier unangebracht. Das hat so etwas Unpersönliches. Und so ist sie nicht. Sie ist persönlich und gut und verbindlich.

Ein kurzer Blick auf die Tageskarte lässt mich die Lammhaxe mit Rosmarinkartoffeln und Prinzessbohnen wählen. Liebe Leute. Es ist ein Gedicht. Dazu ein bombastischer Shiraz, der ebenfalls jeden Cent der 8 Euro pro Glas wert ist. Der Herr des Hauses schaut auch immer mal wieder vorbei, und beim Absacker, einem hammermäßigen Kakao-Schnapps, verquatschen wir uns ordentlich über seine Tochter, die angeblich (ich möchte ihm das glauben) mit ihrer Agentur den „Geiz ist geil“ Slogan erfunden hat (und das hat er keineswegs rausposaunt.. wir hatten es von kik und Discountern, und „Bio“ aus Ecuador und Chile, und ich sagte irgendwann ironisch „Geiz ist geil“ … da erwähnte er das dann). Außerdem berichtet er mir von unbezahlbarem Mietraum auf der Insel, von 4000 Pendlern pro Tag, davon, dass er ein Häuschen hinter dem Restaurant hat, er ein alter 68er aus Hamburg und inzwischen 71 ist und gerne verkaufen möchte (Leute, gebt mir nen Kredit!) Meine Auskunft auf seine Frage, in welchem Hotel ich wohne, quittiert er nur mit der Aussage „Wohnklo“ (traurig aber wahr, aber vergessen Sie nicht – das Wohnklo ermöglicht mir finanziell, am Abend für 50 Euro in Restaurants wie seinem zu speisen. Wie ist das bei Ihnen – sparen Sie lieber beim Schlaf oder beim Essen? --- Eine bessere Matratze wäre mir das nächste mal aber auch mindestens 10 Euro mehr pro Nacht wert…)

Seine reizende Bedienung, die nur wegen der Liebe seit 2 Jahren auf Sylt ist, gab mir einen Wellness-Tipp in Hörnum und warnte mich vor den betrunkenen Typen drei Tische weiter. Und sie meinte, von der Insel sage man, dass sie einen glücklicher machen könne als man eh schon sei, aber auch viel unglücklicher, als man sei. Vor allem Single-Frauen, die hier her ziehen würden, wären brutal gefährdet. Viele davon würden auch nicht rausgehen. Da brauche man ja auch einen bestimmten Charakter zu, einen kommunikativen, meinte die Frau. Und dass sie es toll fände, dass ich, eine Frau, alleine hier in diesem Restaurant sitzen würde. Ich sagte: „Also ich bin solo. Wenn ich darauf warten würde, nicht alleine in den Urlaub fahren zu müssen, dann würde ich mich erschießen. Alle fahren mit ihrer Familie oder ihren Partnern. Deswegen bleib ich doch nicht zu Hause hocken. Ich bin das so gewohnt. Und ich bin es auch gewohnt, dann abends nicht im Hotelzimmer zu weinen, sondern mir Gutes zu tun.“ Tolles Essen, das ein oder andere interessante Gespräch – das sei doch wohl herrlich! Und sie meinte, tja, ja, erschießen, dass tun sich wohl dann auch einige dieser Alleine-Frauen, die schon in ihrem ersten Winter auf der Insel totunglücklich werden, weil sie eher so sind: „Was – alleine irgendwohin? Nein – da bleibe ich lieber alleine zu Hause“.

Die Kellnerin hat einmal ein Jahr allein in Australien verbracht. Und überhaupt, ihre ganze Erscheinung schreit – ich kann! Ich mag sie sofort und immer mehr, und am liebsten wäre ich in dieses gemütliche Restaurant sofort eingezogen. Mit der Rechnung reicht sie mir schriftlich ihren Wellness-Tipp (da hat man Blick auf die Dünen), damit ich ihn auch nicht vergesse.
Ich beschließe ein Offline-Tagebuch zu führen – was nun dies hier ist. Und bevor ich das schreibe, kaufe ich mir an einem Kiosk zwei Flensburger Pilsener, ausgezeichnet von Ökotest mit „sehr gut“. Sehr gut, oder? Wobei der Shiraz echt bombe war…

Wir haben alle Sorgen. Aber manchmal denke ich mir, eigentlich habe ich keine. Ich habe heute endlich mal wieder eine Dankbarkeit gespürt, die ich wohl schon oft hätte spüren müssen. Und es war aufrichtig. Ja. Mama ist schwierig. Und ich bin bald 33, unverheiratet, solo, kinderlos (ich hatte gerade ‚inderlos‘ getippt – das auch, ja). Viele Dinge machen mich oft traurig. Mama. Mama. Mama. Und sehr vieles mehr. Das fängt bei der Ausbeute von Bienen an (echt, da habe ich einen ganz widerlichen Bericht gesehen, wo der Ami-Imker zum Summen der Bienen in der verdammten Monokultur meinte „aaahh… so klingt Geld“.. man möchte kotzen), geht über Trauer bei Waschbären auf Betonböden in Tierparks, bei Eisbären auf schmelzenden Eisschollen, bei den Nachrichten könnt ich sowieso meistens heulen, bei sterbenden Landschaften auch … manchmal glaube ich, ich fühle zuviel. Wirklich jetzt.

Aber mindestens genauso viele Dinge machen mich glücklich, vor allem seit ich den Schritt zurück nach Mannheim gewagt habe. Die Musik! Musik, wie wunderbar, ganz unabhängig vom Genre, wie viele Möglichkeiten haben wir Stimmungen und Gefühle in Ton und Klang auszudrücken. Traumhaft! Und Tanz! Und Bücher, Worte, Zeilen. Gedanken. Der Duft von gedrucktem Papier. Wie viele Möglichkeiten, die paar Elemente unseres Alphabets immer wieder neu anzuordnen und Geschichten über Geschichten zu erschaffen. Und dann - Freunde. Gute Gespräche. Bäume, Städte, Bauten, Frotteebettwäsche, Aprikosensaft, Rotwein, Braten, überhaupt – gutes Essen! Und Sand, Wellen, der Duft von Dünen, Bilder, Künste, so viele unterschiedliche Charaktere, Reiten, das Knarzen und der Duft von Ledersätteln, Spontaneität, Zufälle, Momente. Die Welt. Und das, was sie für mich im Innersten zusammenhält. Natürlich bin ich nicht durch die Bank glücklich. Was für ein Wort. Glücklich. Das macht uns krank, das ewige Streben nach Glück. Aber ich bin zufrieden, froh. Und doch auch an Tagen wie heute glücklich. Und das ist kurios. Denn…

Nichts ist so, wie ich es mir mit 14 vorgestellt habe. Aber wenn ich ganz ehrlich bin – unterm Strich ist es für mich nun vermutlich sehr sehr viel besser.








Samstag, 3. November 2012
belangloses von der insel
Was hat Lanz da mit seinem Finger. Fühle mich belustigt an den Fitnesstrainer eines Berliner Studios für den Kurs Body Pump erinnert. Der hat auch immer mit schrägem Kopf und vermeintlich gewinnendem Lächeln seinen finger auf uns gepointet und unermüdlich wiederholt: "gib nicht auf! deine chance!!"meine bauchmuskeln haben danach sehr geschmerzt, was in dem fall weniger an den folterübungen denn an diesem komiker lag.
werde versuchen nicht aufzugeben, heute, bei lanz. meine chance!!

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