Sonntag, 17. Mai 2015
Die Flinte im Korn.
Fast auf den Tag genau 2 Jahre liegt mein letzter Besuch hier also zurück. Ich vergesse dieses Blog immer mehr. In den letzten Monaten quäle ich mich mit dem Schreiben auf dem anderen Blog. Schreibblockade nennt sich das wohl. Dabei entwickelt sich so viel, verändert sich mein Leben in winzigen aber kontinuierlichen Schritten in eine Richtung… die… ja.. was eigentlich? Spießer, schnaubt eine kleine wilde und ziemliche traurige (dafür manchmal auch über die Maßen euphorische) Thisbe in mir vorwurfsvoll.

Das Schreiben würde mir vielleicht helfen, aber ich weiß gar nicht mehr wo ich es anpacken soll. Auch jetzt fühlt es sich an als würde ich nach monatelangem Sitzen versuchen mit erschlafften Muskeln einen Marathon zu laufen. Es strengt mich unglaublich an und ich fühle mich überfordert und orientierungslos. Hilft aber nichts – irgendetwas will gesagt werden. Was, das weiß ich selber noch nicht.

Ich kann mich nicht erinnern wann ich das letzte mal alleine vor diesem Rechner saß, ein Bier neben mir, Melancholie im Herzen und Verwirrung im Kopf, mit dem Versuch einen Blogeintrag zu schreiben. Früher – haha… bis vor gar nicht allzu langer Zeit -- war das Standard. Vor allem mit Bier allein neben dem Rechner sitzen. Oder feiern. Oder ficken. Melancholie im Herz auf jeden Fall. Heulen sowieso. Und ganz viel Scheisse im Kopf. Die kleine Thisbe, die gerne auf ewig jung und wild bleiben würde und sich dabei doch nach nichts mehr sehnt als nach Ankommen, starken Armen die sie auch mal auffangen können und innerer Ausgeglichenheit.

Ficken… In den Kopf ficken kann ich mich immer noch ganz gut. Aber seit fast einem Jahr schlafe ich ausschließlich mit demselben Mann. Zum Thema Feiern gab es nur eine klare Ansage: „Wenn du das machst, bin ich weg.“ Ich brauche klare Ansagen. Andererseits fühle ich mich dadurch provoziert. „Ach ja? Des merkt der doch gar nich…“ wispert die kleine Thisbe.

Die große Thisbe hat es manchmal nicht leicht. Die kleine Thisbe ist stark. Stark und zäh und traurig und so aufmerksamkeitsbedürftig. Und ängstlich. Sie hatte jahrelang das Zepter in der Hand. Ich habe es ihr überlassen, wenn auch mit wachsendem Widerwillen. Denn ich habe gespürt, dass Änderung notwendig ist, und wenn ich inzwischen aber mit einer Sache ein Problem habe, dann mit Veränderung. Früher (wird heute wohl inflationär) habe ich das wohl versucht mit ständiger (primär äußerer) Veränderung zu kompensieren. Heute hier morgen da. Heute der morgen jener. Heute fröhlich morgen völlig fertig. So war ich in der ständigen Veränderung ganz schön beständig.

All das war absolut notwendig um dahin zu kommen wo ich heute bin. In dem Versuch starke Arme zu akzeptieren und mich selbst mit wahrscheinlich gravierenden Einschnitten dahingehend zu verändern, dass ich mir selbst näher komme in meinem beruflichen Tun.

Ich hatte keine Ahnung wie unfassbar anstrengend dieses Beziehungsding ist. Man hat da ja so seinen Illusionen. Zum Glück haben die sich bei mir eh schon in Grenzen gehalten. Dass eine Beziehung nicht der Heilige Gral ist, wenn man mit sich selbst nicht klar ist, dieses Wissen steckt schon lange in mir. Das Gute daran ist, dass man ein „wir“ auch nicht gleich aufgibt, wenns grad scheiße ist mit einem selbst.

Dennoch war mir nicht klar, wie schwierig es tatsächlich ist mit meiner Historie diese starken Arme nicht wegzustoßen. Wie schwierig es ist anzunehmen dass ich geliebt werde, und zwar exakt so, wie ich bin. Mit dem Wegstoßen, mit dem Kopfficken, mit meiner krassen Neuorientierungsphase und allen damit einhergehenden Höhen und Tiefen. Mit meinem Alter, einer eventuellen Aussicht auf Kinderlosigkeit. Mit all meinen Zweifeln. Bis wir alt und grau sind, das wünscht er sich. Es macht mir Angst und Hoffnung zugleich. Was wünsche ich mir?
Ich habe Angst mich zu verlieren in einem wir. Dass ich jemand werde, der ich nicht bin, auch nicht im Verborgenen. Dass ich mich langsam und allmählich auflöse neben jemandem der so stark und selbstbewusst ist.

Diese Plötzlichkeit, mit der er in meinem Leben war. Wie einfach das ist, dass da einfach jemand ist. Und wie schwer zugleich. Plötzlich ist es normal, dass ich bis Ende August verplant bin. Dass ich an Wochenenden abwechselnd hier und in Bayern bin. Dass wir darüber sprechen, wie wir uns da annähern können. Plötzlich ist Sex nicht mehr Jagen. Und ich muss Lust für mich neu entdecken. Das ist schwierig, sehr sehr schwierig für mich. Plötzlich kann ich meine Sorgen und Freuden und Erlebnisse mit jemandem Teilen. Plötzlich ist da jemand, der inzwischen meine Familie kennt, auch meine kranke Mutter. Einer, der das mittragen kann. Einer der kein Arsch ist. Und dieses Plötzlich ist gleichzeitig furchtbar grausam. Was hat mich darauf vorbereitet? Ist das Vertrauen in mich selbst noch so wackelig, so ist es in Männer schlichtweg nicht vorhanden und muss erst in Schneckentempo wachsen. Er ist ein Wunder. Wie er das mitgehen kann. Dieses langsame Tempo. Ich beneide ihn um sein Urvertrauen in die Dinge. Und in mich.

Hätte mir das jemand vor einem Jahr gesagt, ich hätte schallend gelacht. Gleichzeitig sind da immer noch Verlustängste. Vermutlich liegt es auch an dem mangelnden Vertrauen, dass die Lust gerade in der Frühjahrsmüdigkeit steckt. Plötzlich vor jemandem nackt sein. Seelisch. Das verunsichert mich so sehr, dass ich Schiss vor der Körperlichkeit habe. „Was, wenn er sich das woanders sucht? Ey los, Thisbe, ficken man. Das kannste doch, ficken! Was is los mit dir??“ ruft die kleine Thisbe verzweifelt.

Ich habe ihn kennengelernt kurz vor dem Beginn meines Neuorientierungsprojekts. Das habe ich letztes Jahr am 1. August bei einem Coach in Hamburg gestartet. Beendet haben wollte ich es Ende November. Es läuft immer noch. Es zielt darauf ab, sich mit seinen Interessen zu beschäftigen, daraus Jobideen zu entwickeln, und sich erst dann mit seinen Stärken und Schwächen zu beschäftigen und vor diesem Hintergrund eine Auswahl an Jobideen genauer nicht nur kreativ sondern auch rational zu beleuchten bis hin zum Umsetzungsplan, um sich am Ende des Projektes für eine Jobidee zu entscheiden und diese dann auch umzusetzen. Den Plan hat man dann ja schon.

Warum das so lange dauert? Es geht mir nicht darum, den Job einfach bei einem anderen Unternehmen zu machen. Sondern ich denke, es wird auf einen krassen Schnitt hinauslaufen. Mit weiterem Studium. Auch das macht mir alles Angst. Mitte 30, kinderlos, nochmal studieren, Fernbeziehung? Wohin läuft unsere Beziehung? Will ich nicht doch irgendwie auch Hausfrau und Mutter sein? Wohin laufe ich privat? Doch der Tourguide in Südafrika? Wie kann ich Neuorientierung und Beziehung gleichzeitig in eine Richtung entwickeln, ohne das eine zu sehr zu vergessen?

Deswegen schaue ich alles sehr genau an. Und außerdem… habe ich oft Phasen, in denen ich einfach nur blockiert bin von Angst, Zweifeln, Resignation. Die ersten Jobideen habe ich schon konkret beleuchtet. Es ist entnervend, demotivierend, energieraubend. Ich habe Angst am Ende kommt raus, dass ich am besten alles so lasse wie es ist. Und das wäre die Hölle. Unterm Strich würde es dann für mich bedeuten, dass ich mich selbst anscheinend so schlecht kenne, dass ich auf keine gute und sinnvolle Jobidee für mich komme, oder dass ich zu feige bin eine auszuprobieren. Beides wäre scheiße. Angst ist ein schlechter Ratgeber und lähmt. Aber sie ist nun mal da.

Manchmal versuche ich dann einfach sie zu akzeptieren. Unbestritten ist es unglaublich viel Veränderung in den letzten 10 Monaten. So viel, dass ich manchmal denke es müssen 2 Jahre gewesen sein. Parallel zu Beziehung und Neuorientierung verändern und verabschieden sich auch Freundschaften. F. zum Beispiel. Es ging nicht mehr anders. Und doch vergeht kein Tag an dem ich nicht an ihn und sein Lachen und unsere traumhaften Sommertage und –nächte denke. LeSchwe wird immer blasser, aber das ist von mir gewollt. Und G. musste ich auch mal verabschieden, ich weiß nicht ob sie wieder kommt. Und manchmal fehlt mir auch das Feiern. Die kleine wilde Thisbe würde so gerne raus. Aber wenn ich mir dann vorstelle wie es wirklich ist, dann habe ich keine Lust mehr. Ein kleiner Teil sehnt sich aber nach der Sehnsucht. Nach dieser inneren Qual. Es fühlte sich lebendig an. Verrückt, wie?

Es verändert sich alles. Immer. Bei jedem. Aber ich hab das Gefühl dass ich mitten in einer großen Metamorphose stecke, die .. wahrscheinlich eigentlich nur toll werden kann. Aber die Angst zu versagen oder (jemanden) zu verlieren, die Angst zu vertrauen - auf mich aber auch auf ihn - ist immens.

Wie viele würden sich diesen großen Fragen gar nicht erst stellen. Ebenfalls aus Angst. Oder Bequemlichkeit. Im Beruf oder in der Beziehung. Es ist hart sich selbst ständig zu hinterfragen. Aber aus meiner Sicht ist man es sich selbst schuldig. Auch wenn ich selbst sehr oft zweifel an der Beziehung und an der Neuorientierung. Aus Angst. Ausschließlich aus Angst. Angst kann so groß sein. So vereinnahmend. Oft ist erscheint es soviel leichter einfach im Jetzt zu verharren.

Und dann bin ich stolz, dass ich die Flinte noch nicht ins Korn geschmissen habe. Dass ich den schweren Weg gehe, Jahr für Jahr, von Therapie zu Therapie, von Tief zu Tief, von Erfahrung zu Erfahrung, immer näher auf mich selbst zu.

Mein Vater sagte das schon immer bei den Mathehausaufgaben, die ich damals einfach nicht verstehen wollte. Ich muss 10 oder 11 gewesen sein. Wir saßen an seinem Küchentisch in der spärlich eingerichteten Wohnung, unter der eine Schreinerwerkstatt war. Er war damals selbst um die 40, arbeitslos trotz hunderter Bewerbungen, geschieden und musste Zahlungen für 2 Kinder aufbringen. Ich hatte damals keine Ahnung was das bedeutet und von wie wenig Geld er lebt. Ich bin stolz auf meine Eltern, möchte ich an dieser Stelle sagen. Gerade wenn man derzeit immer wieder hört, dass Arbeiterkinder kaum Akademiker werden. Unsere Eltern haben uns beiden unsere Studien ermöglicht. Sie haben auch nicht die Flinte ins Korn geschmissen.

Bevor mein Vater arbeitslos wurde, hatte er zwei oder drei Jahre einen richtig guten Job (die Firma davor hatte pleite gemacht). Er hatte einen Firmenwagen und verdiente gut. Was wir nicht wussten ist, dass sein Chef ein Granatenarschloch war. Und irgendwann wollte mein Vater nicht mehr auf sich rumtrampeln lassen und kündigte. Direkt in die Arbeitslosigkeit. Damals standen meine Mutter und wir fassungslos da. Ich konnte viele Jahre lang diesen Schritt nicht nachvollziehen, ich dachte, wir Kinder und die damit verbundenen Zahlungen sind ihm nicht wichtig.

Heute kann ich mehr denn je verstehen, wieso er das sich selbst zuliebe tun musste. Ich ziehe meinen Hut vor ihm, dass er diesen Schritt damals mit all seinen beschissenen Konsequenzen gewagt hat. Wie mutig von ihm. Wie aufrichtig sich selbst gegenüber.

Und eben jener Papa war es eben, der mir damals Mathe erklären wollte und unzählige male verzweifelt und augenrollend gen Decke rief, wenn ich mal wieder hysterisch und bockig meine Hefte vom Tisch fegte: „Schmeiss doch die Flinte nicht gleich ins Korn!“

Danke Papa.

Seelenmusik #17 - Bebetta

 
dass ich geliebt werde, und zwar exakt so, wie ich bin
Aufschreiben, ablegen.
Und immer, wenn notwenig, wieder rausholen.
Durchatmen, lesen, leben.


: )

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@sid: kommt im Herzen nicht an. Wohl weil ich mit mir selbst so sehr hader derzeit. Stoße gerade leider einfach nur weg... bzw. mache mich unsichtbar. Und hoffe. Auf irgendwas. Es ist ätzend zu wissen, dass ich mir da gerade einfach nur selbst im Weg stehe. Frag mich immer wie lang er das wohl mitmacht, und wann ich dieses self-fulfilling scheissding einfach mal aufhöre.

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schön. du hast glück, anscheinend.
hast du die liebe deines vaters damals gespürt? oder erst heute?
mir fehlt ja so das "damals" in vielerlei hinsicht, auch vonseiten meiner mutter...

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@c17: damals: überhaupt nicht. viele viele Jahre nicht seit der Trennung, bzw. vor allem n der Pubertät ganz schwierig bzw. zum Teil auch Kontaktabbruch meinerseits, der von ihm einfach akzeptiert wurde. Wo ich mir doch so sehr gewünscht hätte, dass er um meine Präsenz in seinem Leben kämpft. Es wurde erst besser (in wahnsinnig langsamen Schritten, so wie wohl jegliche Veränderung - bis die Seele nachreist - sehr lange dauert) als er eine neue Freundin hatte, da war ich ca. 17. Und dass wir uns richtig angenähert haben ab ca. 25. Richtig schön ist es erst seit .. ich glaube, dass die kleine Professor Sache uns geholfen hat. Da hat er sich jeden Tag meinen Kummer angehört. Immer. Ständig. Er war einfach da. Ich hätte das schon viel früher benötigt. Heute sehe ich, dass Eltern auch nur Menschen sind. Er konnte früher anscheinend einfach nicht anders. Damit will ichs ihm nicht zu leicht machen, ich hab ihm auch in den letzten Jahren nochmal wahre Hasspredigten geschickt. Aber er kam dann immer auf mich zu und hat das persönliche Gespräch gesucht. Das war toll.

Heute fahren wir auch zusammen in Urlaub, betrinken uns, können lachen und weinen... Aber auch das hat uns ganz viele Jahre Reflexion und Arbeit an jeweils uns selbst, aber auch miteinander abverlangt. Ich bin froh, dass ich das so erleben darf. Es hilft mir glaube ich auch dabei Vertrauen in andere Männer zu lernen. Besser spät als nie.

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Zur Ergänzung: es ist nicht so, dass er nicht da war (außer in den Zeiten des von mir erwirkten Kontaktabbruchs), aber er war einfach... schwach. Gefühlt nicht da. Er hat viele schöne Dinge mit uns unternommen. An die erinner ich mich auch gerne. Aber er war einfach sehr auch mit sich beschäftigt und seiner Entwicklung.

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Und immer dieselben Themen, die uns alle umtreiben. Ich finde das ja seltsam beruhigendgruselig, dass manches bei anderen Personen so völlig ähnlich abläuft. Dieses Finden, Gefundenwerden, hier ist es jetzt 1 Jahr. Das alte Thema "Vertrauen" und "Ängste". Ganz akut. Die Eltern im Hintergund, die uns eigentlich längst ins Erwachsensein entlassen haben, aber manchmal trotzdem noch eine fürchterlich große Rolle spielen.

Aber recht hat, Dein Papa. Ich wünsche Dir, dass Du Dir seine Worte immer zur rechten Zeit ins Herz rufen kannst.

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