Sonntag, 12. August 2007
Meum est propositum in taberna mori.
Anna stellt mir das Weizen ungeordert auf den Thresen. "Danke, Anna." Ihr heißer Barkeeper Nils lächelt mir zu.

Der Koch schwankt mir auf seinem Barhocker derart entgegen, dass ich seine Fahne riechen kann. Mehr Schnäpse als Bier, dafür würde ich meine Hand ins Feuer legen. An Feuer erinnert mich auch seine rote Winterjacke. Schön warm ist sie sicherlich ausserdem. Verbrennen kann man sich an dem Mann allerdings nicht. Er spuckt zuviel.

Seine vollen Lippen nähern sich den meinen bedrohlich. Schwesterlich leg ich ihm den Arm um die Schultern. "Hörste ma", sag ich, "wir haben Brüderschaft getrunken, und so verhalten wir uns auch." Er grinst über beide Ohren. "Dein Nobelschuppen bekommt dir nich!" Er grinst weiter. Wie ein frecher Schulbub.

Das Ehepaar neben uns beobachtet äußerst belustigt das Schauspiel. Er besucht einen Ärtzekongress, sie begleitet ihn und wird in nicht einmal einer Stunde 40. Sieht man ihr nich an. Ihren Mann würd ich dafür gerne mal länger ansehen.

Neben jenem Paar sitzt ein zweites. Wesentlich älteres. Sie schreibt Krimis. Für Senioren. Eine eigene Website hat sie auch. "Weisste, min Dirn, damals, als ich Krankenschwester war, da hatten wa die meisten Einlieferungen zur Tatort-Zeit."
Sie kuckt mich an, aus ihren weisen, hellblauen Augen. Sie blickt in mich.

"Steh auf." Das ist keine Frage. Wie in Trance erhebe ich mich leicht wankend von meinem Barhocker. "Klopf dir jetzt mit deiner rechten Hand auf die linke Schulter und sag: ich bin eine klasse Frau!". Stumm schüttel ich den Kopf. "Doch!!!", befiehlt sie. "nein nein, das kann ich nicht." Ich fange an zu weinen. Wie kann sie mich kaum kennen und in so wunde Punkte stieren? Sie bleibt hartnäckig, und als ich mich schluchzend ihrem Befehl beuge, strahlt sie fast so honigkuchenpferdmäßig wie der Koch. "So, und jetzt mit beiden Händen auf die Schultern und: ich schaffe das!" Ich tue, und sie ist glücklich. Ich bin sehr aufgewühlt, gerührt und trotzdem auch ein bisschen glücklich.

"Deine Seele ist auf Halbmast, Thisbe." Ich nicke und wische mir die Tränen von der Wange.Scheisse verdammt, was is das denn? Was will die Alte? Heul nich, Thisbe.

Draussen tobt der Sturm. Ist es das Tosen der Wellen, oder des Weizens, das in den Ohren klingt?

Es ist der Koch. "Yvetta!!!" lallt er mir ins Ohr. Nein, das bin ich nicht. "Die Yvetta, die strippt da unten in dem Lokal. Oi." Der Arme hat nicht nur tüchtig einen im Tee, sondern ist auch schwer verliebt. "Weisste was. Wir gehen da jetzt hin, zu deiner Yvetta, und dann ..." "Ohhh Gott Thisbe, das würdest du tun???" Ja, schwer bescheuert, wie ich bin.

Dieser Strip-Puff ist extrem verraucht. Den Koch habe ich auf Yvetta losgelassen, mit einem Zettel, auf dem seine Telefonnummer steht. Ich beobachte, wie er sich die Zähne ausbeisst. Kaum sitze ich an der Bar (immer noch in Wintermantel und Schal gepackt, extrem prüde fühlend), kommt so ein Sylter Pseudo-Intellektueller auf mich zu und nimmt ungebeten meine Hände in seine. "Die sind aber kalt". "Spinnst?" antworte ich ihm, "deine sind kalt! ICH arbeite NICHT hier." Er glotzt blöd und geht.

"That's a private hour." Mit diesen unbefriedigenden Worten entlässt die Yvetta meinen Koch. Manche Frauen wollen eben doch nur die Kohle.

Unter Einsatz meines Führerscheins fahre ich den Koch nach Kampen. Er zeigt mir die Dünen im Mondlicht, das wilde Kliff, und mein Gott, was soll ich sagen, ich liebe diese Insel.

Und weil ich neugierig bin, wie die Bediensteten der Bonzen untergebracht sind, lass ich mir sein Zimmer zeigen. Das Zimmer an sich ist schon schäbig, aber das Chaos! Der Mann ist versifft! Er will mir Sekt geben, und er tut mir so leid wegen Yvetta, aber ich gehe nach Hause.

In ner Kneipe sterben, das wünsch ich mir. Am Puls des Lebens.






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